Original menschliche Arbeit, kreiert ohne Künstliche Intelligenz.
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© 2023 by Heinz Hermann Maria Hoppe. Alle Rechte vorbehalten.
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Kommentar
Autor: Heinz Hermann Maria Hoppe
Strom ist unsichtbar, Stromerzeugung ist grün. Beton ist grau, Betonherstellung ist grün. Erdöl ist schwarz, Erdölförderung ist grün. Fastfood-Ketten, Server-Farmen, Turnschuh-Hersteller, – die Natur hat über zahllose Branchen hinweg abgefärbt. Marketingabteilungen wählen die Farbe Grün für ihre Kommunikation. Grün ist die Hoffnung nach mehr Umsatz. Zukunft ist grün.
Die Bildwelten der großen Kampagnen quellen über vor Chlorophyll. Unter lichtdurchfluteten Blätterwerken stehend, schauen dynamische Macher optimistisch einem nahen Horizont entgegen. Kompetente Ingenieure, erkennbar an ihren blanken Helmen, raunen uns zu: »Wir könnten es schaffen, unsere Umwelt wieder heiler zu machen, wenn du nur an uns glaubt.« Die implizite Belohnung für Marken-Adepten: Keine Dürren, kein Artensterben, keine Überschwemmungen, keine Klima-Flüchtlinge, kein Hitzetod. Stattdessen saubere Technik, klares Trinkwasser, reine Luft. Durchatmen. Nochmal gut gegangen.
Bei all dem Engagement für die Umwelt, kann man die aufgeheizte Atmosphäre doch nicht immer nur den Großen in die Schuhe schieben. Wir müssen doch nur einmal deren ›Über uns‹-Webseiten lesen: »Wir setzen uns für unseren Planeten ein. Wir leisten unseren Beitrag zur schnellen Reduzierung globaler Emissionen. Wir engagieren uns für eine Adaption an eine wärmer werdende Umwelt. Mit uns fliegen Sie nachhaltig. Wir managen unseren Fußabdruck. Wir haben eine klare Sehnsucht danach, unseren globalen CO2-Ausstoß zu verringern. Wir setzen auf kollaborative Anstrengungen quer durch Business, Gesellschaft und Verwaltung. Unser Fokus liegt auf, unsere Entscheidung für Nachhaltigkeit, in Partnerschaft mit der Natur, unter Einhaltung der Umweltschutz-Bestimmungen, wir gehen sogar noch einen Schritt weiter, unsere Lösungen für saubere Energie, essentiell für eine dekarbonisierte Welt, entdecken Sie noch heute, reden Sie mit uns. Für die nachwachsenden Generationen. Wir, wir, nur wir.« Worthülsen. Grün gelabelter ›Bullshit‹. Einerseits.
Andererseits: Irgendwo muss man ja anfangen. Vielleicht bei einem selbst?
Im natürlichen Gebirge zählen Worthülsen nichts. Man steht vor echtem Fels. Die steilen Hänge muss man selber gehen. Man kann beim Gehen seinen Gedanken nachgehen. Man kann sich aber nicht in falschen Bildern von der Natur ›gehen lassen‹. Am Gipfel angelangt, sieht man seinen neuen Horizont.
Unser Bild von der Natur rührt auch von uns selbst her. Wir lassen es zu, dass der Natur falsche Bilder übergestülpt werden, weil sie unseren Erwartungen entsprechen. Wir widersprechen nicht. Wir lassen falsche Bilder in uns hinein verpflanzen, dann phantasieren wir weiter: noch schöner, lieblicher, märchenhafter, anheimelnder, wilder, verwegener soll sie wirken. Aus dem Grund ›ent–täuschen‹ auch so viele Erinnerungsfotos. Wir projizieren und inszenieren leichtgläubig Sehnsüchte, Wunschdenken und romantische Ideale. Unsere Abenteuerlust wird in Erzählungen geweckt, gehört in Komfortzonen mit Zentralheizungen. Die Realität in der Natur sieht natürlich ganz anders aus.
Die Strahlkraft der Natur überwältigt dennoch jeden, der sich intensiv der frischen Luft aussetzt. Die meiste Energie schöpft der Städter, der werktags im Büro sitzt und bequem anreist. Der mit der Natur arbeitende Bergbauer würde am Wochenende vielleicht lieber auf einem Sofa regenerieren. Der Berg ruft ihn nicht. Die Natur braucht uns nicht. Sie ist nicht lieblich, sie ist nicht friedfertig, sie ist nicht brutal. Sie ist.
Wir könnten uns besinnen, aber wir tun es partout nicht. Wir könnten die Erkenntnisse über unsere Rolle in und für die Natur in Unterlassungen übersetzen. Stattdessen tauscht unser Getriebensein weiterhin Wissen gegen Wunschbilder. Statt noch perfektere Event-Parcours in ›noch heile Welten‹ zu bauen, statt einen einzelnen, ›wilden‹ Bären zu erschießen, weil er nicht in unserer Bild einer schönen ›Wildnis‹ passt, könnten wir weitschauender handeln, dem Stand der Wissenschaft entsprechend. Wir sollten uns nichts vormachen: die Mehrheit, die es sich leisten kann, wird als Verbraucher, im wörtlichen Sinn, weiter unbedarft aus dem Vollen schöpfen. Der eigene Tellerrand wird die Grenze für die konsumierbaren Menüs wie für die Ausflüchte bleiben.
Die Auswertung, die Erschließung, die Benutzung, die Kontaminierung, die Ausbeutung der Natur beginnt nicht erst in den überseeischen Kupferminen und durch die Betreiber rauchender Schlote. Sie beginnt mit den Flächennutzungsplänen unserer Gemeinden und in den Einkaufswägen beim Discounter nebenan. Sie beginnt zu Hause. Sie beginnt hinter unserer Stirnwand.