Original menschliche Arbeit, kreiert ohne Künstliche Intelligenz.
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© 2023 by Heinz Hermann Maria Hoppe. Alle Rechte vorbehalten.
Farb- und Tonwertdarstellungen auf Monitoren weichen vom Original ab.
Kommentar
Autor: Heinz Hermann Maria Hoppe
Die Bildserie ›There Must Be Order!‹ beleuchtet Denkräume und Ordnungssysteme. Mögen die als ›typisch deutsch‹ belächelten Floskeln ›Ordnung muss sein!‹ und ›Ordnung ist das halbe Leben!‹ altmodisch erscheinen, beeinflussen die dahinter liegenden Ideale unverändert unser Denken.
Denn der Mensch, ›das Maß aller Dinge‹, sortiert seine Wahrnehmungen. Er wertet und beschreibt seine Welt nach Regeln. Wir unterscheiden Organismen nach Arten in von uns erdachten biologischen Systematiken. Technik konstruieren wir nach Industrienormen. Wir taxieren, organisieren und strukturieren: Unser Gegenüber, Lehr- und Lerninhalte, Arbeitsabläufe und Umsätze, Rituale wie Mahlzeiten und Fahrtwege, ferne Galaxien, Kunststile, Parteizugehörigkeiten, sogar Vorurteile. Unermüdlich auf der Suche nach geordneten Verhältnissen, erinnern uns Programme an die Einhaltung biologischer Rhythmen und geben Takte vor, die uns ›natürlicher‹ leben lassen sollen. Wir reduzieren: auf das Wesentliche, auf Paragraphen, auf trainierte Skills und übliche Behandlungsmethoden. Wir strukturieren unseren Alltag und subsumieren Erinnerungen auf prägende Erlebnisse. Wir suchen Muster, Schablonen, Regeln, – Ordnung. Abstraktionen, Gruppenbildungen, Katalogisierungen und Hierarchien helfen uns, zu begreifen und abzuspeichern.
›Normalität‹ kann aber auch ein leidbringender Maßstab sein. Menschen, deren ›Erscheinungsbild‹ nicht der Norm entspricht oder die sich nicht ›normal‹ verhalten, ecken an oder werden gar bedroht und verfolgt. Dabei sind Ordnungen nur von uns erschaffene Beschreibungen, reine Illusionen. Unterdrückungen werden mit Normen begründet. Umerziehungen, Umsiedlungen, Entwurzelungen: weil Menschen nicht nach übergestülpten, religiösen Standards lebten und leben. Massenmörder in faschistischen Systemen beriefen und berufen sich auf willkürliche Gesetze, gesetzt nach zurechtgelegten Wertvorstellungen. ›Nicht normale‹ Menschen leiden allgegenwärtig mitten unter uns. Wir sind zu klein, zu dick, zu alt – jenseits der Ideale eines antrainierten Schemas.
Unordnung ist für uns nur schwer zu ertragen. ›Kreatives Chaos‹ überlässt man lieber den ›Künstlern‹. ›Unordentlich‹ haust der ›verwirrte Alte‹, ›unordentlich‹ schreibt das ›lustlose Kind‹. Wir haben Ordnungsämter und Verkehrsregeln, damit ›nicht jeder machen kann, was er will‹. Zufälle werden ausgemerzt, statt wertgeschätzt und durch normgerechtes Verhalten weggewischt. ›Wir machen das schon immer so‹, beruht auf Regeln. Dass altbewährtes Denken in Zukunft seine Grenzen erreichen und seine Gültigkeit verlieren könnte, wird erst gar nicht erwogen.
Lebewesen und deren Lebensformen sind wie alle natürlichen Prozesse komplex und die Netzwerke an Wechselbeziehungen mit deren Welten sind überwiegend nicht durchdrungen. Jeder Organismus hat individuelle Chromosomen. Jeder Mensch, jeder Grashalm, jeder Grottenolm, jede Wolkenformation und jede Unterwasserströmung ist einzigartig. Standardisierte Eingriffe in feinteilige Systeme können sich katastrophal auswachsen. Ernten aus Monokulturen bringen kurzfristig hohe Erträge, aber auf Dauer gehen fruchtbare Böden, Pflanzen- und Tierarten verloren. Verkürzen wir nicht unzulässig und vordergründig, wenn wir scheinbar ›Nebensächliches‹ einfach unter den Tisch fallen lassen?
Welch unglückliche Verbindungen aus ›geordneten Verhältnissen‹ entstehen können und welche Chancen auf glückliche Beziehungen für immer vergeben sind, kann man in zahllosen Biografien nachlesen. Welche Perspektiven bieten uns gewohnte Handlungsmuster für die Zukunft? Was verpassen wir, wenn wir unentwegt Routinen abspulen? Welche Innovationen können sich noch aus Denkmustern ergeben, mit denen wir immerzu vor die Wand fahren?
Warum sehen wir nicht aus ganz anderen, wechselnden Blickwinkeln und viel genauer hin? Könnten wir unsere Probleme im komplexen Getriebe der Welt vielleicht anders, leichter und gleichzeitig besser, lösen? Müssen wir uns nicht klüger aufstellen, gegen, auch uns selbst auferlegte, manipulative Argumentationsmuster, die Neues immer wieder ausbremsen? Haben wir die richtigen Werkzeuge für kreative Lösungen? Wie können wir unser Denken konsequent ›verwirbeln‹, auch jenseits von Design Thinking, wahrhaftig ›out of the box‹?
Die Amerikanerin Donna J. Haraway formuliert es ihrem herausragendem Buch ›Unruhig bleiben‹1 so: »Wir alle auf Terra leben in unruhigen Zeiten, in aufgewirbelten Zeiten, in trüben und verstörenden Zeiten.«2 […] »Es ist dringend notwendig, gemeinsam und neu, quer zu historischen Differenzen und zwischen allen möglichen Wissensformen und Expertisen zu denken.«3 […] »Es ist von Gewicht, welche Gedanken Gedanken denken. Es ist von Gewicht, welche Wissensformen Wissen wissen. Es ist von Gewicht, welche Beziehungen Beziehungen knüpfen.«4
Galileo Galilei, Mitbegründer der exakten Naturwissenschaften, wurde erst 1992 von der katholischen Kirche rehabilitiert. Die Menschheit kreist andauernd um sich und ist gefangen im Selbst. Wir sind aufgerufen, uns freiwillig auf den Kopf zu stellen und zu versuchen, die Welt auch mit anderen Augen zu ›begreifen‹. Damit sich unser Horizont viel schneller weiten kann. Damit uns ›der Himmel nicht auf den Kopf fällt‹.
Quellen:
1 Donna J. Haraway, »Unruhig bleiben, Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän«, Campus Verlag Frankfurt/New York 2018
2 ebd., Einleitung S. 9
3 ebd., S. 16
4 ebd., S. 53